Auf der Flucht

Als wir abends zurück von einem Ausflug kamen, überraschte uns die Mitteilung, daß aus politischen Gründen Frauen und Kinder abreisen könnten. Es war der 9. April 1945.

Obertraun Liebe Oma ! Nun wurde es schlimm. In wenigen Tagen wurde der Haushalt aufgelöst. Mutti war ganz verstört und Vati packte. Meine Spielsachen mußten dableiben.

In das tolle Durcheinander platzte noch Tante Freda Wimmers hinein, die ihren Sohn besuchte,und Onkel Stephan, der die Bücherkisste packen wollte und dabei absolut alles lesen mußte.- Schließlich waren die Räudme leer, die Möbel verkauft oder untergestellt, die Koffer zur Bahn geschafft ( Sieht man sie je wieder ?) und ich sagte allen Lieben ade – Ich merkte mir die Anschriften. Tante Vessely Veitsberg, Onkel Novotny, Kassierer B- Tante Kavalier Eisengasse 14. Alle weinten und riefen: „Recht bald, auf Wiedersehn !“ Am Dienstag, den 17. abends wurde ich in die Karre gepackt und zum Bahnhof gefahren. Onkel Stephan kam auch mit.

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Die Halle war voll von Soldaten und Flüchtlingen. Sie schliefen auf der Erde, überall lag Gepäck herum. – Der Zug fiel aus, weil Pilsen bombardiert worden war. So schliefen wir noch mal 3 Stunden in unserer Wohnung, dann fuhren wir um 4 Uhr nach Bu …, das ging sehr langsam. Oft blieb der Zug stehn – Ich war müde und verstimmt.- Einmal war Alarm.- Wir mußten alle aus dem Abteil heraus. Mutti legte sich über mich an der Böschung,- und ich schrie furchtbar. Es waren aber nur Bomber. So saßen wir noch lange im Gras und die Sonne beschien Leute aus allen Gauen.- In B…. erwischten wir um 20.00 Uhr in einem Militärzug eine Ecke im Gepäckwagen. Mutti steckte eine Kerze an. Draußen hörte man Schritte und Rufe.

Ein Soldat mit zerschossenem Gesicht saß neben mir und sorgte für mich, dann schliefen wir ein. Die Eltern waren sehr erschöpft. Aber Mutti meinte : Die 8 Tage, in denen man packte und verkaufte, seien die schlimmsten gewesen. Die Fahrt habe doch eine gewisse Romantik .- Um 3 Uhr, kurz vor ……. ging es holterdiepolter in den Nachbarzug. Das Gepäck machte viel Mühe. Dunkle Elemente klauten im Trubel des Umsteigens dem Soldaten, meinem Freund den Koffer.- Auf allen Bänken schliefen Soldaten und fühlten sich durch uns sichtlich gestört. Ich hatte alles verschlafen und wachte erst auf, als wir kurz vor Linz durch liebliche Täler fuhren. Als wir dort schon umgestiegen waren, ertönte Alarm, und alle Leute mußten in den Keller der Brauerei.- Es war ein riesiger Menschenstrom.- Mutti war so müde, daß sie vorher in

den Keller von einem Haus (Eine Nährmittelfabrik) ging,- dort benutzte ich die Zeit, um tüchtig Kacki zu machen.- und Mutti, um mich wieder zu säubern. Nach dem Genuß einer schönen Griessuppe, ging es zur Bahn zurück. Neben mir saß eine nette Wiener Doktorin, aber dann war noch eine unangenehme SS Familie darin.- Auf den Bahnhöfen lief viel zerlumptes, unheimliches Volk herum.- Überall waren Bombentrichter an der Bahnlinie. In Wels fuhren wir an den zerbeulten und verbrannten Wagen vom letzten Fliegerangriff vorbei.- Um 17 Uhr stiegen wir in um.. Ich bekam einen Tee, während Papa lange um einen Teller Gemüsesuppe anstand. Dann sind wir sehr schnell im Zug eingeschlafen und wachten erst auf, als in Ischl Kopfverletzte

ausgeladen wurden. Sie bewegten sich aber sie wußten es nicht. – Die Ankunft um Mitternacht in Obertraun verschlief ich. Deine Juliane. Obertraun im Winkel 4, den Liebe Oma ! Jetzt kann ich erst wieder schreiben. Mein Kopf tat mir sehr weh, und ich weinte den ganzen Tag. Alle waren entsetzt. Tante Muthe (bei der wir die ersten Tage wohnten) hatte grad ein winzig kleines Baby bekommen, das schrie auch aber nicht so laut wie ich.- Am 23.4. zogen wir zu Gamsgägers 130 und hausten zwischen allen Koffern von Hauptmann Willmanns. Plötzlich eiterte mein Ohr.-

Darum hatte ich so sehr geschrien. Dr. Kaltwasser behandelte mich. Er war sehr lustig und spielte mit mir. Als er eine Woche später erfuhr, daß Bomben Frau und Kind getötet hatten, sah er mich nicht mehr an. Vati war am 25.4. nach Lebben gefahren, um Onkel Karl zu holen. Er war schwer verwundet worden und sollte hier im Lazarett gesund werden. – Dann fuhr Vati nach Prag am 1.5. Aber plötzlich war er wieder da. Mit Autos, Zügen und zu Fuß hatte er sich durchgeschlagen. Alles war in Auflösung. Adolf Hitler war tot. Der Krieg und das dritte Reich war zu Ende.- Liebe Oma ! Es ist sehr heiß, und die Obstbäume blühen,- die Soldaten strömen mit Autos, Wagen und zu Fuß nach Haus.- Mancher zieht treu sein dünnes Pferd hinterher,

und finstere Gestalten verbrennen heimlich ihre Papiere. – Alle Leute im Dorfe sind sehr aufgeregt. Es werden weiße und rot-weiße Fahnen herausgehängt. Papa betreut 5 verirrte Jungs. Das Lager gibt Vorräte aus. Ich bin oft im Lazarett. Alle spielen mit mir und schenken mir Grops.- Am 10. wird Papa plötzlich verhaftet und im Auto von Franzosen zum Amerikaner geschleppt. Der arme Papa ! Der sich nur um seine Arbeit gekümmert hat ! Zuerst weinte und tobte Mutti, nun ist sie erschöpft und still.- Wir spielen oft zusammen, dann leck ich die Nase ab, das sind meine Küßchen. Tante Muthe holt

uns tagsüber zu sich.- Da nehme ich Fridolin, den Dackel, das Futter weg und esse es auf. Dafür leckt er mir den Mund ab, und Mutti ist entsetzt.- Es ist so warm, daß ich den ganzen Tag nackedidi herumlaufe.- Wir gehen auch spazieren, denn das Tal ist wnderschön. Ringsherum steigen die Berge schroff empor : Der Saarstein, der Krippenstein u.a. – Die Traun braust wild zum See, Mutti steht oft auf der Brücke und blickt hinab. Sie sagt, ich sei ihr einziger Trost.- Auf allen Wiesen blühn die Narzissen.- Über die Landstraße ziehn noch immer müde Soldaten.- staubig, still – immer mehr – immer mehr. Ab und zu saust ein Auto mit Amerikanern nach Gallstadt. – Am 15.5. spät in der Nacht kommt Vati, er ist ganz unschuldig und hat ameri-

kanische Ausweise.- Die Tagesstrecke von Gmunden bis hierher ist cirka 80 km lang. Er wollte zum Hochzeitstag zu Hause sein. (die Eisenbahn fährt ja noch nicht) , so ist er zu Fuß gegangen.- Die Füße sind voll Blasen und er ist sehr dünn geworden.- 4 Tage später bekommt er einen Herzanfall. Die armen Eltern sind sehr klapprig grad jetzt, wo man die meiste Kraft braucht.- aber wir schaffen es trotzdem, ich bin ja noch ganz neu und gesund.– Deine Juliane

Das ist unser Zimmer. A-Papas Bett. Sehr harte Matratzen liegen auf Brettern. B-mein Bettchen ist genauso hart, das zimmerte Papa aus einem Russenbett. C-dort schläft Mutti, zwar auch nicht

gut, aber noch am besten. D-der Kleiderschrank. Er ist zu schmal und schließt schlecht. E-der Ofen, darauf steht Tante Muthes Kocher. G- unser Eßtisch, H-die Kommode, darüber der Spiegel. Da lacht mich oft ein kleines Mädchen an. M-die Flickenteppiche oder Perser. F- der Nachttisch mit dem Wecker, den halte ich an die Nase, da macht er tick- tack.- Überall stehn unsere und Wilmanns Koffer. P-im Vorraum stehn Schüsseln mit Essen, da fahre ich gerne mit dem Finger hinein. Qu-ist unser Klo. Mein Tageslauf.: 1.-Guten Morgen ! 2.-Ich setze mich rückwärts auf das Töpfchen3.-und trinke allein meine Flasche4.-Dann fahren wir los, ich steh am Steuer 5.- Ich hole mir selber den psch-psch-Topf 6.-Die Sonne brennt, wir gehn nach Haus 7.-Ich sammle Erdbeeren auch aus Muttis Topf 8.-am Bach lauf ich barfuß über die Steine und werfe meine Schuhe ins Wasser. 9.- Dann spiele ich mit den Holzpantinen 10.- oder Steinen 11.- oder Kohle 12.- oder lauf auf die Straße dann bekomme ich Haue.

13.-Hatschi! So große Blumen 14.-Oh weh, ein Hund! 15.-Ich geh ins Haus und koste heimlich den Pudding 16.-Steck meinen Schuh in Muttis Kuchenteig 17.- Dann beschau ich ein Buch- nur Zeitungen zerreiße ich 18.- die Blumen zieh ich aus der Vase und stecke sie wieder hinein 19.-Auf Muttis Bildern leck`ich sie ab 20.-Ich esse allein und oft sehr manierlich 21.-Vati und Mutti schlafen noch da treibe ich schon Akrobatik 22.-und halte Reden an mein Volk in Privatsprache 23.-nun will ich Hose und Schuh anziehen, bei ersterem stört der P.P. 24.-mein Kaffeebrot schmier ich in Papas Schuh. 25.-Purzele über die Perser und heule mächtig 26.-Ich krame den Medizinkasten um, und Vati nimmt Rizinus statt Kohle 27.-einen Teil der Sachen wasche ich im Schmutzwassereimer 28.- die Waschlappen lutsche ich aus und stecke sie dann unter Muttis Kopfkissen 29.- Muttis Garnrollen werden abgewickelt 30.-ich helfe Mutti Beeren lesen, die meisten trete ich platt. 31.-dann besuche ich Fridolin, den Hund und Base Silvia, die groß ist und lustig 32.-Ich esse Fridolins Futter 33.-und begrüße auf dem Rückweg meine Freunde 34.-die Treppe klettere ich allein hinauf 35.-und vom Bett rutsch ich allein herunter.

36.-ich setz mich auf den Schnittmusterbogen, das erleichtert Muttis Arbeit 37.-Vati und ich singen und tanzen rundherum, wie ein Bär und ich hasche nach dem kleinen Mädchen, das aus dem Spiegel schaut. 38.- Im Abwaschwasser versuche ich zu baden 39.-heimlich nasche ich vom Reis und decke den Deckel wieder drauf. 40.-ich male,male 41.-bis die Eltern mir die Haare schneiden. Ich brülle furchtbar, Mutti sticht sich und ich schließe die Augen entsetzt 42.-Vati kommt mit Bade-wasser. Ich steig natürlich allein hinein 43.-diesmal esse ich nackedidi so werde ich nachher kurz abgewaschen 44.-den linken Daumen in den Mund den rechten Finger ans Ohr.

Gute Nacht !

Liebe Oma ! Wegscheid , d. Die Sonne brennt glühend heiß, fast an jedem Abend donnern die Gewitter in den Bergen. Die ersten gelben Blätter leuchten an den Bäumen als Herbstgruß. Es ist hohe Zeit heimwärts zu ziehen. Vati erfährt in Linz, daß wir am nächsten Transport nach Hannover teilnehmen sollen. In Eile wird gepackt, aber das Auto,das uns abholen soll, erscheint nicht, so schlafen wir noch

einmal in dem Dorf und fahren mit 10 Gepäckstücken mit Frau Kahle und Lehrer Rüter um 6.10 Uhr ab. Tante Muthe winkt „ade“! Es ist grauslich voll im Zug. Ein Teil der Leute schimpfen auf uns Deutsche.- andere sind freundlich, ich schlafe im Arm von einem Bauern.- Der Bahnhof von Linz ist noch ebenso zerstört wie bei unserer Hinfahrt.- Überall hocken elende Leute herum.- 3 Kinder weinen nach der verlorenen Mutter,- Familien haben aus Hunger Wien verlassen. Es ist alles schmutzig und traurig. Ein alter Wiener fährt uns in einem klapprigen Wagen (seiner letzten Habe) ins Lager Wegscheid. Ich sitze neben dem Führer auf Muttis Schoß, da fährt ein schneidiger Ami den halben Kotflügel weg.- Das Lager ist ein altes Russengefängnis. Stacheldraht vergittert -Amiwache davor. Es ist großer schmutziger

Platz mit alten Baracken, zum Teil ohne Fenster und Türen oder zerbrochenen Scheiben. Durch das Dach läuft der Regen auf die „Betten“. Auf dem Platz stinken alte Pfützen, und atemberaubend duften Gemeinschaftsklos. Unser Raum ist noch „first class“ (wie Mutti sagt), denn an jeder Seite sind je 2 Schlafbretter. Sobald es dunkel wird, geht es auf Wanzenjagd bei Kerzenschein. Und viel Tumult und Geschrei machen die 62 Leute in unserem Raum von 8 mal 8 m Größe. Ich finde das sehr lustig. 30 Kinder toben herum, und ich muß mich sehr meiner Haut wehren. Alle küssen oder zwicken

mich, sodaß ich schließlich um mich beiße, dann bekomme ich Klapse.- Auch darf ich nicht in der großen Pfütze spielen, obwohl nette Sachen darin herumschwimmen. Alte Töpfe, Holz, Papier und faule Äpfel – Auch nachts ist es sehr heiß, dazu habe ich Fieber und weine und werfe mich hin und her. Wir bekommen hier alle Durchfall, trotzdem erhalten wir auch dann das übliche Essen : Morgens schwarzer Kaffee, am Tag ein halb Pfund Brot und zwei mal dünne Suppe.- Ich bekomme noch Wasserhaferflocken, die ich ausspucke, weil sie muffig sind, die Butter verschwindet in der Küche. Später verschreibt mir der Arzt Milch. Da nun soviel Leute krank sind, sieht man lange Wallfahrten zum

Sch….Häuschen ziehn, und weil sie so oft dort sind, erzählen sie sich Ihre Ängste und Hoffnungen, so entstehn die Sch…hausparolen. Richtig gesund werde ich im Lager nicht mehr, weil ich dazu noch Eckzähne bekomme. Der Onkel Doktor ist nett und versucht, uns allen zu helfen. Fast alle Babies sehn wie kleine Gespenster aus, aber sie werden zufällig wieder gesund. Sicher kommen deshalb soviel Kommissionen und beschauen uns, sie sagen: Ah und Oh ! Und das nennt man Wohltätigkeit.- sonst wird in der Küche von den Tschechen und Ungarn munter weitergeschoben.- Auf einem Platz werden Herde aus Backsteinen mit Blechplatten gebaut. Gemüse wird gekauft und geklaut, und sonstige Vorräte brutzeln und kochen

unter munteren Gesprächen. Eine alte Baracke wird für Brennholz abgerissen. In unserem Raum geht es allen relativ gut, da die meisten Leute noch einige Vorräte mitgebracht haben. In den anderen Zimmern essen sie die Lagerkost und schlafen auf der Erde. Viele kommen schon aus anderen Lagern halb verhungert.- Da stehn die dünnen Kinder mit sehr großen Augen am Stacheldraht.- alte Frauen humpeln langsam mit dem kleinen Topf Suppe in den zittrigen Händen zur Feuerstelle wo Mutti aus Futterrübenblättern guten Spinat kocht. Am Abend braust ein Gewittersturm los, Staubwand, dann gießt es, daß

alle Töpfe aufgestellt werden müssen, damit wir nicht wegschwimmen, so regnet es durch. Sonst gibt es wenig Wasser. Nur ein Tankwagen steht auf dem Hof, der ab und zu gefüllt wird. 2 kleine private Schüsseln müssen für das ganze Zimmer zum Körperwaschen, Wäsche waschen und Geschirr spülen reichen. Wir haben weder Seife, Besen oder Eimer. Leider schrubbt mich Mutti immer noch tüchtig ab, aber das dauert nicht lange, alles ist so herrlich dreckig. Viele Kinder haben Ausschlag . Meine Windeln werden nach jeder Wäsche grauer. Die Frauen in unserm Zimmer (aus Schlesien und aus dem Rheinland) sind sehr lieb zu mir. Sie stricken mir Strümpfe und nähen mir ein Kleid, nehmen mich auf den Schoß und singen Lieder :“Wie das Fähnchen auf dem Maste….“. Alle sind temperamentvoll und sehr oft gibt`s Streit. Mich aber verwöhnen sie und stecken mir immer etwas in den Mund,dann wird Mutti

böse,weil ich meist verdorbenen Magen habe. In jedem Raum wird vom Ami weißes Insektenpulver gespritzt. Wir alle werden auch angestäubt.- Das beleidigt die Wänzchen so, daß die extra wild beißen.- Der Lagerkommandant heißt Mister Finkelstein.- Er fegt durchs Lager und schreit in ultrapreußischem Militärton alle an..- Wir Kinder singen :“Dreht Euch nicht um, der Finkel geht rum…..“. Von unseren Kisten haben wir uns Tisch und Stuhl gebaut, da esse ich meinen Brei fein mit dem Löffel , zum Schluß fahre ich mit den Fingern hinein . Mein trockenes Brot strecke ich einer Tante hin und lasse mir Honig darauf streichen. Abends sitz ich oben auf meinem Lager schön sauber und halte Reden an mein Volk.- Ein Tag reiht sich an den andern. – drückend heiß – immer wieder wird die Abfahrt verschoben.- Papa beißt sich einen Zahn aus. Ich habe Schnupfen. Alle sind niedergedrückt und nervös.- Mutti zeichnet und ist noch am ruhigsten.- Im Nachbarlager ist es sauber. Da kocht die Polizei, und alles ist in Ordnung. Eine Frau schenkt mir dort ein paar Schuhe (meine Sohlen haben große Löcher).

Sie ist grad noch aus Prag geflohen, der nächste Transport wurde umgebracht.- Im ganzen Lager wird mit mehr oder minder Geschick oder Betrug eifrig getauscht. Mutti beschafft manche Dinge für den Winter. Sie hat große Angst vor Kälte und Hunger. Nachts steigen bunte Raketen hoch empor. Und oft hört man Schüsse, da überfallen Polen Geschäfte und Bauernhöfe.- Im Stacheldraht ist ein Loch, da huschen die Leute zum Einkaufen raus und rein, natürlich ist es verboten, und Mister Finkelstein fängt viele selber ab.- Der einzige Lichtblick in dieser Dunkelheit, ist der Aufenthalt an der Traun, wo man badet, wäscht und vergnügt ist.

Ab und zu reist ein Trupp nach Deutschland . Die Schwestern und der Arzt verlassen uns mit Musikbegleitung .- Es wird immer trostloser – Mutti weint einmal wütend und bitterlich, auch alle andern werden immer gereizter.- Ein Kind stirbt, und es ist weder Holz für einen Sarg noch eine Platz auf dem Friedhof für Deutsche da .- Als wieder der Reisetermin verschoben wird, reißt Papa und Mama die Geduld.- Es gelingt ihnen, auf die Bayernliste zu kommen, und endlich heißt es : „Abfahrt!“ Spät am Abend, den …. kommt diese Nachricht heraus. Es ist gut, daß Papa so ordentlich ist, so ist fast alles schon gut verpackt, und schnell sind die letzten Kleinigkeiten zusammengeräumt. Am…. warten wir von morgens um 8Uhr bis mittags um 12Uhr. Die Sonne steigt, und es wird immer heißer .- Da – 2 Autobusse und 3 Lastwagen fahren heran – Gedränge – Gestoße – Koffer türmen sich auf Kisten und Bündel. Leute schimpfen, Kinder schreien.- Im 2ten kleinen Wagen finden wir Platz.

Als Reisekost bekomme ich eine Büchse Milch und Bisquit. Etwas Wurst, Brot und Butter erhalten alle Großen – Abfahrt und Winken.- Der Stacheldraht verschwindet.- Es wird immerheißer.- Wir fahren durch schöne Täler.- Die Berge begleiten uns als ferne Kette, leuchtend in reiner Bläue.

Teilweise sind in die Orte Bomben gefallen, die den ungepflegten Eindruck der ansich unordentlichen Orte noch erhöhen.-Endlich wird an einem Bauernhaus Rast gemacht und Wasser getrunken.-Oberhalb von Salzburg schauen wir über die Stadt,- „Wann sieht man friedliche Schönheit wieder ? Ab und zu liegen abgewrackte Autos am Weg.-Brücken.-gesprengte-strecken ihre Beine in die Luft-letzte Zeichen vom Rückzug.-Ein Ami rammt unsere Autowand.- Die Grenze von Deutschland.-Rechts liegt ruhig in zartem Dunst der Chiemsee.- Das Rasthaus ist Lazarett gworden.-Die bayrischen Dörfer sind hübsch und sauber.- Es wird dunkel.- Der große Autobus fällt aus. 2 Lastwagen haben Panne.- Wir fahren weiter. – Helle

Fenster, ein erleuchteter Zirkus.- Mädchen bummeln mit Amis durch den Wald. Gegen 22 Uhr erreichen wir München.-Kaum noch ein Mensch ist noch auf den Straßen. Der Lichtschein der Straßenlaternen flackert über den Ruinen. An allen Wegkreuzungen weisen viele englische Schilder. In der Blumenschule übernachten wir. Es ist sehr voll.- Wir erhalten warme Suppe und Brot und schlafen in einem sauberen Raum in Bettkästen. Papa bleibt bei den Sachen im Bunker.- Am nächsten Tag regnet es. Ich spiele mit Klaus, und Mutti läuft durch die Stadt, um einen Wagen für die Koffer zu finden. Sie wird nur naß und erreicht nichts. Vati hat mehr Glück. Er treibt ein Auto auf und das Gepäck kommt zur Bahn.- Dann wird gegessen und zum ersten mal geschlemmt. 3 Buletten und 3 mal Apfelsaft für jeden. Am Abend ist wieder großer Trubel in der Schule. Dort sammelt sich ein Querschnitt aller Reisenden : Verwundete und heimkehrende Soldaten. Männer, die ihre Familie suchen. Nachrichtenmädchen, Flüchtlinge, Evakuierte – Erschöpfung Elend und Heimweh.

Am nächsten Morgen fahren wir in reservierten Wagen nach Frankfurt. Neben mir sitzen Soldaten, die entsetzt wieder aus polnischen Gebieten zurückkommen. In Frankfurt gibt uns das rote Kreuz eine warme Suppe. Wir schlafen im überfülltem Bunker. Tropische Hitze und trockene Luft erstickt uns fast. Ein Labyrint von unterirdischen Gängen, wo ein Mensch neben dem andern hockt und liegt, müssen wir durchqueren. Wir haben 4 Extrabänke erhalten und können uns lang ausstrecken. Die Männer bewachen auf dem Bahnsteig das Gepäck und kochhen mitten in der Nacht Kaffee für schwerkranke Soldaten, die aus russischer Gefangenschaft zurückkommen, – auf Krücken.-

Am nächsten Mittag werden wir auf Umwegen als Krankentransport in ein Abteil geschmuggelt, als der Zug noch auf dem Abstellgleis steht.-Dann fährt er in die Halle, und ein furchtbarer Sturm auf die Wagen setzt ein.- Ungefähr 200 Leute bleiben doch noch zurück.- Wir haben nur ein Loch in den Scheiben.- Ich liege undsitze während der ganzen Fahrt auf Muttis Schoß. An jeder Station entsteht wieder dies entsetzliche Gedränge. 5 Wagen werden plötzlich vom Ami geräumt. Alles flutet vorbei : Alte, Kinder, Schwerkriegsverletzte, ein Soldat ohne Beine auf dem Rücken eines Kameraden.- Schreie der Verzweiflung und Schimpfen,- im Nachtdämmer- spukähnlich- ein Inferno-. In den Feldern seitlich der Strecke liegen ab und zu Reste zerschossener Züge,- rings herum wuchs schon wieder die Ernte,- Ehlberg und Papa schlafen, Mutti und ich sitzen nun auf dem Rucksack zu ihren Füßen. In den Vororten von Hannover stehen noch viele Straßen, aber im

Mittelpunkt ist fast alles zerstört und verbrannt.- Morgens um Uhr kommen wir am Hauptbahnhof an.- Fröstelnd und einsam stehn wir am guten, alten Ernst August, der hoch über alle Trümmer ragt und Mutti sagt mit einem Hoffnungsschimmer auf dem müden Gesicht :“Hier ist meine Heimat, hier bin ich zu Haus !“

Ende des ersten Bandes, es gibt noch ein zweites Buch.